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Meinung

An den internationalen Aktienmärkten ist das vorherrschende Narrativ der «amerikanischen Einzigartigkeit» vorläufig in den Hintergrund getreten. Der US-Markt entwickelte sich im ersten Quartal im globalen Vergleich weit unterdurchschnittlich. Der prägende Einfluss der wachstumsstarken, aber auch hoch bewerteten Technologieunternehmen, die im Jahr 2024 deutlich zulegen konnten und aufgrund ihrer hohen Indexkonzentration mittlerweile auch den Gang des Weltaktienmarktes dominieren, wirkt aktuell in die andere Richtung.
 

Ein Kipppunkt war die Veröffentlichung des leistungsstarken und kosteneffizienten Sprachmodells R1 des chinesischen KI-Start-ups DeepSeek. Dies war eine Art «Sputnik-Moment» für die amerikanische Tech-Industrie und wurde zum Realitätscheck für deren Bewertung. Werden sich die milliardenschweren Investitionen wie gewünscht rentabilisieren lassen, wenn ähnlich leistungsfähige Modelle zu deutlich tieferen Entwicklungskosten auf den Markt kommen? Sind die eingepreisten Wachstums- und vor allem Margenentwicklungen vielleicht doch zu optimistisch? Der Branchenprimus Nvidia beispielsweise hat mit seinen im Januar veröffentlichten Quartalszahlen zwar zum achten Mal in Folge die Erwartungen des Marktes übertroffen. Dennoch korrigierte der Aktienkurs innerhalb weniger Wochen um rund 30% gegenüber dem Höchststand von Anfang Jahr.

Diese Neubeurteilung führte auch zu einer starken Sektorrotation, die Unternehmen aus defensiveren Branchen, wie zum Beispiel Gesundheit und Nahrungsmittel, Auftrieb verliehen hat. Davon profitierte nicht zuletzt auch der Schweizer Aktienmarkt, der nach dem verhaltenen 2024 ein erfreuliches erstes Quartal verzeichnete. Für Bewegung an den Märkten sorgen derzeit aber nicht nur technologische Entwicklungen, sondern vor allem die aussergewöhnlich hohe politische Unsicherheit.
 

Was genau bedeutet Volatilität?


Die erhöhte Unsicherheit lässt sich am CBOE-Volatilitätsindex (VIX) ablesen, der als Angstbarometer der Börse gilt. Er zeigt die für die nahe Zukunft erwartete Schwankungsbreite des US-Aktienmarktes. Seit Jahresbeginn ist der VIX von rund 15 auf 25 angestiegen. Was genau bedeutet Volatilität und wie sind diese Zahlen zu interpretieren?
 

Aktienkurse sind ständigen Schwankungen unterworfen. Ihre Preisänderungen, beispielsweise die Tagesrenditen, folgen einer Verteilung, die einer Gauss‘schen Glockenkurve ähnelt. Kleine Tagesgewinne oder -verluste sind die Regel und treten entsprechend häufig auf. Starke Ausschläge sind jederzeit möglich, aber deutlich seltener. Die Renditen schwanken jedoch nicht um den Nullpunkt, da Anlegerinnen und Anleger für die Übernahme des Aktienrisikos eine Entschädigung erwarten können. Die Spitze der Glockenkurve mit den meisten Beobachtungen liegt daher auf dem Mittelwert (μ), welcher der Renditeerwartung entspricht. Die Volatilität ist nichts anderes als die annualisierte Standardabweichung (σ) der Verteilung.

Die folgende Abbildung zeigt die Auswirkungen unterschiedlicher Volatilitätsniveaus auf die Form der Glockenkurve bei einer angenommenen Renditeerwartung von 8% pro Jahr. Auf den ersten Blick wird deutlich, dass die jährlichen Renditen bei höherer Volatilität breiter gestreut sind und damit grössere Abweichungen vom Mittelwert wahrscheinlicher werden.
 

Höhere Volatilität – breitere Streuung

Die Glockenkurve ist jedoch bloss eine theoretische Annäherung an die Realität. Empirisch lässt sich an den Finanzmärkten das Phänomen der «Fat Tails» beobachten. Extreme Ausprägungen treten in der Realität häufiger auf als in einer normalverteilten Glockenkurve. Für das Risikomanagement von Banken und Hedgefonds, die mit hohem finanziellem Leverage operieren, ist dies insbesondere auf der linken, der Verlustseite der Verteilung von hoher Relevanz. Value-at-Risk-Modelle, die auf einer Normalverteilungsannahme basieren, bieten zwar mathematische Eleganz, aber eben auch eine gefährliche Scheingenauigkeit, die in der Finanzmarktgeschichte schon für einige spektakuläre Unfälle verantwortlich war. Der Zusammenbruch des Hedgefonds Long Term Capital Management (LTCM) im Jahr 1998 ist nur eines von vielen Beispielen.
 

Die folgende Grafik zeigt zur Veranschaulichung die Verteilung der jährlichen Renditen des Schweizer Aktienmarktes seit 1926. Bei einer historischen Volatilität von 20% hat dieser eine durchschnittliche Rendite von 7.7% pro Jahr erzielt. Der Vergleich mit einer Glockenkurve mit den gleichen Parametern zeigt, dass diese – auch aufgrund der vergleichsweise geringen Anzahl Ausprägungen – bestenfalls als grobe Approximation der Verteilung angesehen werden kann. Gleichzeitig lässt die Abbildung das Phänomen der «Fat Tails» erahnen.
 

Verteilung der Jahresrenditen des Schweizer Aktienmarktes seit 1926


Breitere Streuung möglicher Ergebnisse – auch in der Politik


Die erhöhte Unsicherheit an den Finanzmärkten ist derzeit vor allem politisch bedingt. Die zwei Monate seit der neuerlichen Amtseinführung von Donald Trump haben bereits zahlreiche Beispiele geliefert, die man getrost als Ausreisser jenseits des politisch Normalen bezeichnen kann. Der amerikanische Präsident sucht die Disruption

auf verschiedenen Ebenen. Dies zeigt sich sowohl in der Innen- als auch in der Aussenpolitik, wo sich der Bruch mit dem Gewohnten vor allem in der Sicherheits- und Handelspolitik manifestiert.
 

Das birgt Risiken, denn stabile Rahmenbedingungen sind grundsätzlich förderlich für eine prosperierende Wirtschaft. Die wirtschaftspolitische Agenda der US-Regierung ist widersprüchlich. Niedrigere Steuern und sinkende Defizite, Mehreinnahmen durch höhere Zölle bei gleichzeitiger Rückgewinnung von Industriearbeitsplätzen, tiefere Inflation und niedrigere Langfristzinsen – all dies wird unmöglich gleichzeitig zu erreichen sein. Das unberechenbare Hin und Her bei den Zöllen macht die unternehmerische Planung derzeit nicht einfacher und ist für Investitionen nicht zuträglich.

Dienen die Zölle in erster Linie als Druckmittel, um Verhandlungen in Gang zu

bringen, die dann jeweils in «Deals» münden? Wenn ja, welche Verhandlungsziele werden angestrebt? Bei den bedeutenden Handelspartnern Mexiko und Kanada geht es vordergründig um die Themen Einwanderung und Drogen sowie die nationale Industriepolitik. Oder geht es doch um mehr? Um eine grundlegende Neugestaltung des Welthandels, in der Sicherheits- und Handelspolitik miteinander verknüpft werden und Staaten durch die Androhung von Zöllen in ein multilaterales Währungsabkommen zur Schwächung des US-Dollars und damit zur Stärkung der US-Wettbewerbsfähigkeit sowie zur langfristigen Umfinanzierung der Schulden gezwungen werden sollen? Der von einem Chefberater Trumps skizzierte sogenannte «Mar-a-Lago-Accord» – in Anlehnung an den «Plaza-Accord» der Achtzigerjahre, der eine multilaterale Intervention zur Abwertung des US-Dollars besiegelte – gewinnt jedenfalls an Aufmerksamkeit.
 

Der Bruch mit dem Gewohnten bringt gleichzeitig aber auch Dinge in Bewegung. Die ersten Wochen von Trump 2.0 haben Europa wachgerüttelt und zum Handeln veranlasst. Vielleicht dient dieser Weckruf dazu, die «Animal Spirits» auf dem alten Kontinent zu beleben, notwendige Reformen anzugehen und das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Vielleicht gelingt es tatsächlich, den Krieg auf europäischem Boden zu beenden. Vielleicht kommt es auch zu einem grossen «Trade-Deal» zwischen den USA und China. Vieles ist möglich, auch auf politischer Ebene sind die Ergebnisse derzeit breiter gestreut und «Fat Tails» in beide Richtungen nicht ausgeschlossen.


Auswirkungen auf die Vermögensverwaltung
 

Die aussergewöhnlich hohe politische Unsicherheit belastet derzeit und führt zu Volatilität. Solche Phasen mit grösseren Kursschwankungen gehören zum langfristigen Investieren unweigerlich dazu. Der strategische Kompass hilft beim Navigieren in unsicheren Zeiten. Wir empfehlen, Ruhe zu bewahren und sich von den täglichen Schlagzeilen nicht zu unüberlegter Hektik verleiten zu lassen. In Zeiten volatilerer Kursbewegungen ist es ein natürlicher Reflex, Anlagen mit höheren Schwankungsbreiten wie zum Beispiel Aktien abstossen zu wollen. Selbstverständlich sind Aktien konjunktursensitiv und daher gegenüber einer möglichen Wachstumsverlangsamung stärker exponiert als andere Anlagen. Für den mittel- bis langfristigen Erhalt der realen Kaufkraft bleibt bei gegebener Risikofähigkeit eine angemessene Realwertquote, bestehend aus Aktien, Immobilien und Gold, jedoch unverzichtbar. Wenn die Streuung möglicher Ergebnisse besonders breit verteilt ist und sogar Währungsreformen diskutiert werden, dann ist eine einseitige Flucht in Nominalwerte wie Kontoguthaben und Obligationen nicht ratsam, weil sie höchstens eine Scheinsicherheit bietet. Ein nach Regionen und Branchen breit diversifizierter Korb an Beteiligungspapieren mit anpassungsfähigen Unternehmen unterliegt zwar grösseren Schwankungen, ist aber langfristig beweglicher und damit robuster. Zur weiteren Diversifikation mischen wir unverändert Gold bei, das in Krisenzeiten die Funktion eines sicheren Hafens übernimmt. Die wachsende Bedeutung des Edelmetalls in der Reservehaltung vieler nichtwestlicher Zentralbanken hängt auch mit der Unberechenbarkeit der US-Regierung zusammen.
 

Im aktuellen Umfeld sind keine anlagepolitischen Experimente gefragt, sondern der disziplinierte Fokus auf die langfristige Anlagestrategie. Bei der Auswahl der Anlagen und der Gewichtung der Regionen und Sektoren bleiben wir weiterhin eher vorsichtig positioniert. Dies hat zwar auf dem Höhepunkt der KI-Euphorie im vergangenen Jahr etwas Rendite gekostet, den Kundenportfolios im ersten Quartal aber zu mehr Stabilität und einer positiven Rendite verholfen.

Portfolioimplikationen

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Gerne stellen wir Ihnen an dieser Stelle zwei Anlagemöglichkeiten vor, die unsere Selektionskriterien für ein diversifiziertes Wertschriftenportfolio erfüllen.

Grafik_Renditen_02

Quelle: eigene Darstellung